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Neues Mäzenatentum: die Mode und die Kunst

Prada, Louis Vuitton, Cartier, Fendi ... Die Mäzene der internationalen Modehäuser und ihre Privatmuseen für zeitgenössische Kunst.

Mäzenatentum in der Kunstwelt existiert nicht erst seit ein paar Jahren. Schon vor einigen Jahrhunderten gab es in Europa Orte, an denen wohlhabende bürgerliche, wie auch adlige Familien Künstler und Kreative finanzierten. In der italienischen Renaissance zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert engagierten vermögende Familien, wie die Medici in Florenz oder die Torlonia in Rom Maler, Schriftsteller und Architekten – wie Michelangelo, Pico della Mirandola oder Leonardo da Vinci – und unterstützten sie auf unterschiedliche Art. Wichtige Kunstförderer waren damals auch die katholische Kirche und der Vatikan.

Heute sind es sowohl große Unternehmen als auch private Investoren, die öffentlichen Institutionen helfen, die Welt der Künstler und Kreativen zu unterstützen. In der Nachfolge von philanthropischen Unternehmerpersönlichkeiten, die in Kunst mehr sahen, als nur eine Geldanlage, und sich als Mäzene engagierten, begannen auch international operierende Unternehmen, Kunst in systematischer Form zu sammeln. In den letzten zehn Jahren haben eine Reihe von internationalen Banken und Versicherungsgesellschaften private Sammlungen gegründet, für die teils auch eigene private Museen eröffnet wurden. 

Kaum ein Sektor hat aber mit seinem Sponsoring von Kunst und öffentlicher Architektur so viel Aufmerksamkeit erregt, wie die traditionellen europäischen Modehäuser.

Im Winter 2015 wurde der berühmte Trevi-Brunnen in Rom nach aufwändiger Restaurierung wiedereröffnet. Das römische Modehaus Fendi hatte das Projekt mit zwei Millionen Euro finanziert. Mit dem Projekt „Fendi for Fountains“ wurde die Marke so zum Hauptsponsor dieses Projekts, für das der Stadt Rom die finanziellen Mittel fehlten. Wenige Monate später, im Juli 2016, feierte Fendi sein 90-jähriges Bestehen mit einer atemberaubenden Modenschau auf einer Plexiglasbahn, die über den restaurierten Trevi-Brunnen gelegt wurde. Im September 2016 konnte die Spanische Treppe, eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten Roms, nach wenigen Monaten wieder eröffnet werden. Bulgari, eine traditionelle römische Schmuckmarke, hatte 1,5 Millionen Euro in Reinigungs- und Restaurierungsarbeiten investiert. Die italienische Schuhmarke Tod’s stellt derzeit 25 Millionen Euro für die Restaurierung des Kolosseums zur Verfügung.

Aber neben diesen gönnerhaften Gesten – im Kontext politischer Debatten mit der öffentlichen Verwaltung über den Kulturetat – konzentrieren sich einige Gründer:innen großer europäischer Modehäuser darauf, ernsthaft zeitgenössische Kunst zu sammeln und ihre Kollektionen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dafür haben Stararchitekten hochmoderne Museumsgebäude in Kulturstädten wie Mailand, Venedig oder Paris gebaut.

"Worin besteht der Unterschied zwischen der Arbeit für eine private und eine öffentliche Institution? Die Arbeit in einer privaten Institution bietet Ihnen viele finanzielle Möglichkeiten und mehr geistige Freiheit." Astrid Welter

Das Mailänder Luxus-Modehaus Prada ist eines der renommiertesten High Fashion Unternehmen der Welt. Miuccia Prada, Inhaberin des Unternehmens, und ihr Mann Fabrizio Bertelli sind bekannt für ihr großes Interesse an zeitgenössischer Kunst und für ihr philanthropisches Engagement im Kulturbereich. 1993 gründeten sie die Fondazione Prada, eine Institution für zeitgenössische Kunst und Kultur, die unabhängig von der Modeabteilung der Marke agiert. Im Jahr 2011 feierte die Fondazione Prada die Wiedereröffnung eines verlassenen historischen Palastes am Canale Grande in Venedig: Der Ca‘ Corner della Regina wurde in Zusammenarbeit mit der Stadt Venedig restauriert und firmiert als einer der Hauptsitze der Fondazione Prada, die jeden Sommer eine große Show veranstaltet.

„Worin besteht der Unterschied zwischen der Arbeit für eine private und eine öffentliche Institution? Die Arbeit in einer privaten Institution bietet Ihnen viele finanzielle Möglichkeiten und mehr geistige Freiheit. Die Fondazione Prada kombiniert diese Ideen“, sagt Astrid Welter. Die deutsche Kunsthistorikerin war bis Dezember 2019 Programmleiterin der Fondazione Prada und hat seit über 20 Jahren für die Stiftung gearbeitet, nachdem sie ihre Karriere mit einem Ausstellungsprojekt begonnen hatte, das 1997 Werke des verstorbenen amerikanischen Künstlers Dan Flavin in einer Mailänder Kirche zeigte.

Im Frühjahr 2015 eröffnete die Fondazione Prada ihr beeindruckendes Kunstzentrum in einem alten Industriegebiet im Süden Mailands. Der Architekt Rem Koolhaas und sein OMA-Studio hatten eine 22.000 Quadratmeter große Anlage mit mehreren Ausstellungsräumen, einem Campus und einem einzigartigen, goldfarbenen Turm gebaut. Im April 2018 kam der 60-Meter hohe „Torre“ hinzu. „Mailand ist eine kleine Stadt, aber sehr delikat“, sagt Welter. „Es ist voll von Architekten, Mode-, Design-, Werbe- und Verlagshäusern. Und es hat einen sehr kosmopolitischen Charakter. All dies erfordert ein Programm für zeitgenössische Kunst, und doch gibt es keine öffentliche Institution für zeitgenössische Kunst: In Mailand sind es private Institutionen, die das zeitgenössische Kulturprogramm liefern.“ Neben der Fondazione Prada gibt es die Pirelli-Stiftung mit ihrer HangarBicocca und der Fondazione Trussardi. Sie alle bieten ein Programm mit erstklassiger zeitgenössischer Kunst.

Die Fondazione Prada präsentiert Einzelausstellungen zeitgenössischer Künstler:innen wie Goshka Macuga, Theaster Gates oder Louise Bourgeois und veranstaltet große Gruppenausstellungen, die von internationalen Kurator:innen wie Germano Celant oder dem deutschen Künstler Thomas Demand kuratiert werden. Das Museumsareal verfügt über ein großes Kino für Vorführungen und Retrospektiven, bietet Workshops zu Kunst, Philosophie und Architektur, veranstaltet Performances und zeigt Miuccia Prada’s große private Sammlung zeitgenössischer Kunst. Kein Wunder, dass Prada seine jüngsten Modenschauen auch in den Gebäuden auf dem Gelände der Fondazione veranstaltet hat. „Von Anfang an haben die Präsident:innen die Stiftung strikt vom Firmengeschäft getrennt“, betont Welter dabei. „Wir arbeiten völlig unabhängig und haben einen wissenschaftlichen Auftrag.“ Astrid Welter arbeitet in einem kleinen Team und verwaltet alle Programme der Fondazione Prada in Mailand, Venedig und im Ausland.

"Kunst für alle. Das ist meine Mission und es ist meine Mission für das Kulturprogramm, das ich koordiniere." Hans Ulrich Obrist

Privatmuseen, die von wohlhabenden Industriefamilien oder Unternehmen finanziert werden, haben natürlich mehr Möglichkeiten, Kunst zu präsentieren und zu unterstützen. Aber haben ihre Programme tatsächlich einen Bildungsauftrag oder dienen sie hauptsächlich Werbezwecken?

Im Vergleich zu einer Bank oder einer Versicherung produzieren Modehäuser physische Produkte, die sie an die Kund:innen verkaufen. Sie brauchen nicht unbedingt ein Museum oder eine öffentlich zugängliche Privatsammlung als imagefördernde Maßnahme. Einige Modemarken haben philanthropische Präsident:innen, deren Absicht es ist, ihre Kunst der Öffentlichkeit zu präsentieren. Da es in der Modebranche viel Geld gibt, können es sich die großen Unternehmen leisten, besondere Museen und Ausstellungsräume zu bauen und ein abwechslungsreiches Programm anzubieten. In den Serpentine Galleries in London kann Hans Ulrich Obrist dank privater und öffentlicher Mittel freien Eintritt anbieten. „Kunst für alle. Das ist die Mission, die ich habe, und es ist meine Vision für das Kulturprogramm, das ich koordiniere.“ Der Schweizer Kurator und künstlerische Leiter der Londoner Serpentine Galleries Hans Ulrich Obrist war als eine der aktivsten und bekanntesten Figuren der Kunstwelt sowohl für private als auch für öffentliche Institutionen tätig. „Ich denke, man kann die verschiedenen Modelle von privaten und unternehmerischen Institutionen nicht vergleichen, weil jede auf ihre Weise funktioniert. Manchmal ist der Inhalt abhängig von den Geldgebern oder den Finanzierungsgesellschaften, und das kann dann problematisch sein“, so Obrist.

In der Schweiz sind die Pharmaindustrie und die Banken die Mäzene der neuen Zeit. Unternehmen wie Roche, Credit Suisse und UBS besitzen erstaunliche Privatsammlungen und haben teils eigene Museen gebaut, um sie zu präsentieren. In Frankreich sind private Magnaten und globale Luxusunternehmen die modernen Philanthropen der Kunstwelt. Die Luxusmarken Cartier und Louis Vuitton haben sich dafür entschieden, in Paris Kultur und zeitgenössische Kunst zu vermitteln. Die Fondation Cartier wurde 1984 von Cartier gegründet. Das Museum der Stiftung wurde vom Architekten Jean Nouvel entworfen und befindet sich im 14. Bezirk von Paris. Die Fondation Cartier, die gemeinnützig und unabhängig von der Schmuckmarke arbeitet, präsentiert Ausstellungen von Etablierten wie von jungen Nachwuchskünstler:innen. Die Hauptsammlung besteht aus mehr als tausend Werken von 300 Künstler:innen aus allen Epochen.

Die bekannte Luxus- und Modemarke Louis Vuitton hat natürlich auch eine eigene private Stiftung für Kunst. Die Fondation Louis Vuitton begann 2006 als Kunstmuseum und Kulturzentrum, finanziert von der Luxusgruppe LVMH. Dies ist dabei nur eine Episode der langfristigen Förderung von Kunst und Kultur durch das LVMH. Die Hauptsammlung des Museums besteht aus Werken des Unternehmens und seines CEO Bernard Arnault. Es umfasst Werke von berühmten Künstler:innen wie Jean-Michel Basquiat, Sarah Morris und Jeff Koons. Neben den heimischen Ausstellungs- und Kulturräumen Espace Louis Vuitton in Tokio, Venedig, Peking, Seoul und München eröffnete die Fondation Louis Vuitton 2014 eine riesige neue Zentrale. Das vom amerikanischen Stararchitekten Frank Gehry entworfene neue Gebäude befindet sich im 16. Bezirk von Paris im Park Bois de Boulogne. Das Gebäude ist das erste künstlerische Statement der Stiftung. Die finanzielle Unterstützung durch den LVMH bietet bei allem ein hohes Maß an Freiheit für die Programme und Projekte der Stiftung. In den letzten Jahren hat sich die Fondation Louis Vuitton vor allem der Untersuchung der Entwicklung der Kunstströmungen und der Förderung des zeitgenössischen Schaffens verschrieben. Das Museum ist zu einem einzigartigen Ort für den zeitgenössischen, historischen, architektonischen und intellektuellen Austausch, und zu einem Zentrum für die moderne Kunst geworden.

"Es stellt sich immer die Frage, was der Nutzen für die Kunst und die Gesellschaft ist." Hans Ulrich Obrist

Heute gibt es weltweit mehr als 300 privat finanzierte Museen für zeitgenössische Kunst. In Europa sind es vor allem private Sammler:innen und große Unternehmen, die aus philanthropischem Interesse ihre eigenen Museen eröffnet haben, um einen Einblick in ihre Sammlungen zu geben. In den letzten Jahren sind ihnen große Modefirmen zur Seite getreten. Mode und Kunst liegen sehr nahe beieinander, und Designer und CEOs der Modebranche haben oft ein starkes Interesse an zeitgenössischer Kunst. Im Vergleich zu öffentlichen Einrichtungen haben privat finanzierte Museen oft mehr Geld zur Förderung junger Künstler:innen und sind experimentierfreudiger in der Zusammenstellung ihrer Programme. Immerhin liefen Privatmuseen wie Fondazione Prada, Collezione Maramotti und Fondation Louis Vuitton Gefahr, bloß als unsympathische reiche Konkurrenten öffentlicher Institutionen mit ihren begrenzten Finanzen angesehen zu werden, wenn sie die Programme und kulturellen Missionen der öffentlichen Museen nur kopierten. So müssen ihre neuen Modelle sich als aufwendige, professionelle und bereichernde Orte für zeitgenössische Kunst bewähren – bislang mit Erfolg. Mode ist schon immer für jeden interessant gewesen, während Kunst für viele Menschen noch ein elitäres Erscheinungsbild hat. Neue private Sammlungen, die von traditionellen, philanthropischen Modehäusern finanziert werden, tragen dazu bei, Kunst für alle interessant zu machen.

Hans Ulrich Obrist ist gespannt auf diese neuen Institutionen, und wie sie in Zukunft agieren werden. „Es stellt sich immer die Frage, was der Nutzen für die Kunst und die Gesellschaft ist“, sagt er.