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Interview: OMA

Unser redaktionelles Konzept für das Culture Shifts Magazine und unseren Podcast im Jahr 2023 steht fest: In den Formaten konzentrieren wir uns auf die Auswirkungen von Spaces auf das Leben und auf zwischenmenschliche Interaktion. Wir gehen der Frage nach, wie, warum und für welche Zwecke wir selbst Spaces schaffen – ob in der Gegenwart oder im Blick auf die Zukunft. Hier unser erstes Interview mit Giulio Margheri, einem Architekten von OMA (Office for Metropolitan Architecture) in Rotterdam.

Giulio arbeitet unter anderem am Bühnenbild für die Fashion Shows von Prada und hat zusammen mit dem OMA-Gründer Rem Koolhaas die letzte Ausstellung „Recycling Beauty“ der Fondazione Prada gestaltet. „Recycling Beauty“ wurde von Salvatore Settis, Anna Anguissola und Denise La Monica kuratiert. Kurz vor der Herbst-Winter Show für 2023 von Prada trafen wir uns mit Giulio, um über die Bedeutung adaptiver Spaces für Mode, über die Zukunft immersiven Designs und über die Ideen hinter der Gestaltung der „Recycling Beauty“ Ausstellung zu sprechen.

 

Culture Shifts: Hallo Giulio, kannst du uns etwas über deinen professionellen Hintergrund erzählen?

Giulio Margheri: Hallo! Ich bin ein italienischer Architekt mit einem Master-Abschluss in Architektur von der Universität Florenz, meiner Heimatstadt. In meiner Funktion als Architekt habe ich in Florenz, Ljubljana und Amsterdam gearbeitet, als Forscher am Strelka-Institut in Moskau. Seit 2015 bin ich jetzt bei OMA – wobei meine Arbeit zwischen OMA und AMO, dem Think-Tank des Büros, wechselt. Mein Kompetenzfeld konzentriert sich auf das, was man als „ephemere Projekte“ bezeichnen könnte, also temporäre Installationen, Innenarchitektur und kleinere Architekturprojekte. Darüber hinaus produziert unser Team Publikationen und Videos und verfügt über Expertisen in den Bereichen Kuration und Produktdesign.

CS: An welchen Projekten hast du bei OMA bzw. AMO gearbeitet?

GM: Hierbei ist wichtig zu verstehen, dass die Unterscheidung zwischen diesen beiden Instanzen eher unscharf ist. Die Arbeit von OMA und AMO überschneidet sich: Manchmal beginnen wir ein Projekt unter AMO mit einem Fokus auf Forschung, und wenn das Projekt anschließend in die Gestaltungsphase übergeht, wird es meist zu einem OMA-Projekt, auch wenn es sich „nur“ um eine temporäre Installation handelt.

CS: Wir würden gerne genauere Details über deine Arbeit für die Modeindustrie und Prada erfahren – wie fügt sich die Konzeption eines Space in das Markenuniversum und Strategie der Brand ein?

GM: Grundsätzlich ist die Gestaltung von Fashion Shows eine faszinierende Aufgabe, die im Wettbewerb der Marken um Sichtbarkeit eine zentrale Rolle einnimmt – mit steigender Tendenz. Als OMA um 2006 mit der Arbeit an Shows begann, waren das oft nicht mehr als einfache Installationen mit Stühlen oder Bänken, für eine meist begrenzte Anzahl von geladenen Gästen. Inzwischen sind die Shows deutlich komplexer geworden, bieten Platz für mehr Zuschauer:innen, verwenden Technologien wie Live-Streaming und schaffen dabei ein immersives Erlebnis mit entsprechend anspruchsvoller Infrastruktur. Früher gab es nur wenige Brands, die dem Raum, in dem die Kollektion präsentiert wurde, genauere Aufmerksamkeit zukommen ließen. Heute ist genau dieser Fokus ein fester Bestandteil des Markenimages. Dabei definiert jede Marke ihren eigenen Stil, indem sie mit etablierten Teams und Partnern zusammenarbeitet. Mittlerweile ist das Design der Kulissen genauso wichtig geworden wie die Kollektion selbst. Bei Prada sind Miuccia Prada und Raf Simons sowohl an der Gestaltung der Kollektion als auch des Raums beteiligt. Zum Anlass der Show verschmelzen die Kollektion und der Raum zu einer immersiven Erfahrung, die darüber hinaus das Image der Marke für die ganze Saison definiert – ein magischer Moment, den man eigentlich nur selbst in Person und live erleben kann.

CS: Sprechen wir über die Gemeinsamkeiten von OMA und Prada: Was ist die treibende Kraft hinter den Projekten? 

GM: Prada ist ein etablierter und langjähriger Kunde von OMA, und darüber sind wir überaus glücklich. Aber die Partnerschaft verstehen wir nicht als Selbstverständlichkeit. Bei jedem neuen Projekt fangen wir eigentlich wieder bei Null an. Unser Ziel ist es, immer wieder neue Ideen zu explorieren und die Grenzen des Möglichen weiter zu verschieben. In diesem Aspekt teilen wir mit Prada einen großen Teil unserer DNA. Dieser Prozess ist nicht selten überaus herausfordernd sein, aber genau dieser Aspekt hält ein Projekt frisch und innovativ, was zugleich die Grundlage für den Erfolg unserer Beziehung ausmacht.

Mittlerweile ist das Design der Kulissen genauso wichtig geworden wie die Kollektion selbst.

CS: Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei der Gestaltung von Ausstellungen? Uns würde auch interessieren, was mit den verwendeten Materialien nach dem Ende der Ausstellung passiert.

GM: Das Thema Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren immer bedeutender geworden für die Gestaltung von temporären Installationen. Zugleich ist in diesem Kontext ein interessantes neues Geschäftsfeld entstanden. Es gibt heute Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, Bühnenbilder abzubauen und sicherzustellen, dass die Materialien wiederverwendet werden, zum Beispiel in Kunstprojekten. Es geht also nicht mehr nur um die Verwendung nachhaltiger produzierter Materialien, sondern auch darum, den Materialien eine längere Lebensdauer zuzuweisen. Bei der Zusammenarbeit mit Prada versuchen wir, die Materialien lokal vor Ort zu beschaffen, den Transportweg zu verkürzen und die Lebensdauer der Settings über eine einzelne Show hinaus zu verlängern. Einige Settings wurden z. B. für Tanztheater oder Vorträge wiederverwendet. In anderen Fällen wurden die Materialien an Kunstuniversitäten gespendet und sind jetzt Teil von Projekten von Studierenden.

Das zukünftige Design von Modenschauen wird definitiv durch die Digitalisierung und Innovationen wie das Metaverse beeinflusst.

CS: Wie können wir uns die Zukunft des Ausstellungsdesigns und von Modenschauen vorstellen? Kannst du mögliche Veränderungen gegenüber der bisherigen Praxis skizzieren?

GM: Das zukünftige Design von Modenschauen wird definitiv durch die Digitalisierung und Innovationen wie das Metaverse beeinflusst. Die Pandemie hat auch die Modeindustrie dazu gezwungen, das Format der Shows zu überdenken. Im Ergebnis konnte man hier einen Anstieg innovativer Ansätze für Präsentationen beobachten, wie z. B. Puppen- und Mannequin-Shows und auch viele innovative digitale Formate. Aber trotzdem setzt die Modeindustrie aus gutem Grund nach wie vor auf persönliche Veranstaltungen. Sobald die Beschränkungen durch die Pandemie vorbei waren, lag der Fokus folgerichtig wieder auf Präsenz. Genau das war auch in unserer Arbeit der Fall, nur vielleicht mit einem etwas anderen Ansatz als bei unseren Entwürfen vor der Pandemie. Für die letzten beiden Shows von Prada haben wir einen Space entworfen, in dem sich die gesamte Decke fast unmerklich auf und ab bewegt, während die Models ihn durchlaufen. Genau dieses dynamische Element rekurriert übrigens auf einige Experimente mit solchen Settings, bei denen die Show nur auf dem Bildschirm zu sehen war. 

CS: Wie war der Arbeits- und Gestaltungsprozess an der Ausstellung „Recycling Beauty“? Und was waren hierbei die  Herausforderungen?

GM: „Recycling Beauty“ stellte uns vor ganz andere Herausforderungen als die Modenschauen. Wir hatten das Glück, mit einem Team aus Kurator:innen zusammenzuarbeiten, die sich intensiv für den Gestaltungsprozess interessierten und ihn mitgestalteten. Eine Herausforderung, der wir uns zu stellen hatten, war z. B. der massive Größenunterschied zwischen den gezeigten Artefakten. Einige waren nur wenige Zentimeter groß, wie die Tazza Farnese. Andere, wie die Rekonstruktion des Konstantin-Kolosses, waren mehr als elf Meter hoch. Eine weitere interessante Aufgabe bestand darin, die Exponate so zu zeigen, dass man sich mit ihnen auf unterschiedliche Weise auseinandersetzen kann. Manche mussten eher aus aus der Distanz oder, wie beim Koloss, sogar noch weiter weg von einem Aussichtspunkt aus betrachtet werden. Andere wiederum eher vom Nahen oder alleine bzw. als Teil einer Gruppe, usw.

CS: Kannst du uns noch etwas mehr über das Leitkonzept der Ausstellung berichten?

GM: Die in der Ausstellung gezeigten Exponate stellen etwas dar, das aus seinem ursprünglichen Kontext entnommen wurde – etwas, das nicht mehr denselben Nutzen oder dieselbe Bedeutung hat wie zu der Zeit, als es ursprünglich kreiert wurde. Grundlegend für die Idee bei der Gestaltung war, eine studienartige Atmosphäre zu schaffen, in der die Besucher sich Zeit nehmen können, um die Stücke zu verstehen, etwas über ihre Herkunft zu erfahren und darüber, wie sich ihre Bedeutung im Laufe der Zeit verändert hat. Wir wollten, dass die Besucher eine Beziehung zu den Artefakten aufbauen und etwas über ihren kulturellen und historischen Kontext erfahren können. Genau diesen Ansatz kann man gut bei den Kabinen und Stühlen in der Cisterna beobachten, die nicht nur einen Kontrast zu den Exponaten, sondern auch zum Ausstellungsraum selbst bilden.

CS: Das heutige Medienumfeld ist chaotisch und schnelllebig. Ist das Display dem Inhalt überlegen?

GM: In meiner Wahrnehmung gibt es keine definitive Antwort auf die Frage nach dem Machtverhältnis zwischen Display und Inhalt. In der Ausstellung „Recycling Beauty“ allerdings sollen die Displays die ausgestellten Objekte ergänzen und nicht mit ihnen konkurrieren. Unsere Absicht war es, der Geschichte, die erzählt wird, eine übergeordnete Ebene hinzuzufügen, anstatt von den Artefakten abzulenken. Dabei ging es vor allem darum, sicherzustellen, dass sie eine sinnvolle Verbindung eingehen.

CS: Welche Art von Spaces verfügt heute über Relevanz? Wir erleben so viel digitalen Smog, vieles äußerst Flüchtiges.

GM: Der so genannte „Instagrammable“-Faktor heutiger Entwürfe – ob im Kontext von Ausstellungen oder auch Retail-Flächen – bezieht sich auf etwas, das zwar visuell ansprechend ist, aber keine reale Substanz hat. Projekte, die sich auf diese „Strategie“ verlassen, sind in der Tat eher kurzlebig. Projekte mit einem starken architektonischen Konzept und räumlicher Qualität aber, werden über die Zeit Bestand haben und relevant bleiben. Die Prada-Stores, die wir Anfang der 2000er Jahre in New York City und Los Angeles entworfen haben, haben den Test der Zeit bestanden – und zwar deshalb, weil sie als mutige Interventionen entworfen wurden. In einer Zeit, in der der Einzelhandel in öffentliche Gebäude eindrang – man hätte fast sagen können, es gäbe keinen Unterschied mehr zwischen einem Museum und einer Shopping Mall – stellten wir uns die Frage: Kann ein Verkaufsraum als Museum, Bibliothek oder Schule konzipiert werden? Oder anders formuliert: Kann er womöglich die Qualitäten all jener Räume aufweisen, in die er eingedrungen ist?