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Interview: Die Kunst der Beratung

Unter Kommunikationsberatung verstehen viele das Anwenden vorgefertigter Instrumente, um vorab gesetzte Ziele zu verwirklichen. Das Institut für Auftragskommunikation in Berlin verfolgt einen anderen Ansatz. Mit den Gründern Dr. Robert Caspar Müller, Prof. Dr. Jürgen Schulz und Dr. Andreas Galling-Stiehler sprechen wir über die Problematik von Autorität und den Umgang mit Ungewissheit, über offene Menschenbilder und den Mehrwert, den Kunst für Beratung schafft.

Die drei Partner vom Institut für Auftragskommunikation in Berlin lehren und forschen an der Universität der Künste Berlin im Studiengang Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Organisiert als Plattform mit großem Netzwerk, realisieren Robert Caspar Müller, Jürgen Schulz und Andreas Galling-Stiehler Beratung, Redaktion und Wissensproduktion für Unternehmen und Institutionen. Dabei wollen sie gängige Beratungswerkzeuge hinterfragen und erweitern. Zu den einzelnen Leistungen des Instituts für Auftragskommunikation zählen unter anderem Feldforschung, Strategieentwicklung, Workshops und Planspiele. 

Ihre Nähe zur Fakultät Gestaltung der Universität der Künste ermöglicht den Protagonisten den Anschluss an aktuelle Forschungsvorhaben und zeitgenössische Gestaltungsprozesse, die an rein wirtschaftlich ausgerichteten Fakultäten in vergleichbarer Weise nicht möglich wären. Zudem ist die Nähe zur UdK eine Ressource für die publizierende Tätigkeit des Instituts für Auftragskommunikation. Zuletzt sind u. a. die Publikationen „Selbstgewiss ins Ungewisse“, und das „Glossar der Sicherheitsgesellschaft“ erschienen. 

 

Culture Shifts: Wir von Culture Shifts denken viel über kulturellen Wandel nach. Was ist für Sie hierbei die aktuell relevanteste Entwicklung, wohl wissend, dass die Antwort bereits morgen anders ausfallen könnte …? 

Andreas Galling-Stiehler: Für mich wäre das die Tendenz zu einer zunehmend bevormundenden Auffassung von Kommunikation, sowohl in der politischen Kommunikation als auch in der Unternehmenskommunikation. Viele staatliche Institutionen und Parteien, aber auch private Unternehmen neigen aktuell dazu, belehren zu wollen. So dass kommunikative Akteur:innen wiederum denken, sie müssten vorgefertigte Motive, Normative, Apparate, um nicht zu sagen Ideologien bemühen, um glaubwürdig nach außen zu treten. 

Jürgen Schulz: An diesem Punkt fängt dann vielleicht auch die Crux der Beratung an, dass andere wissen sollen, was für Einzelne gut ist. 

 

CS: Wie geht man damit im besten Fall um? Als beratende Person muss man sich wohl zu einem gewissen Grad Ungewissheit eingestehen. Wir erleben bei der Beratung immer wieder, dass man auf absolute Gewissheiten verzichten muss, und eher nur relative Gewissheiten in Anspruch nehmen kann. 

AGS: Ja – unser Ansatz ist, zu sagen: „Ich bin mir dessen gewisser, auf was ich vertraue und wem ich vertraue – und der mir vertraut.“ Und nehmen das sozusagen als Ausgangspunkt, um in das Unvertraute reinzugehen. Dabei versuchen wir aber nicht, diesen Prozess der Selbstvergewisserung zum Ende zu bringen. Denn: Ein Ende des Sich-Vergewisserns wäre das Ende des Lebens. Mehr Gedanken dazu haben wir in unserer Publikation „Selbstgewiss ins Ungewisse“ aus dem Jahr 2021 festgehalten.

CS: Wenn wir diese Gedanken ernst nehmen, gerät der Anspruch, etwas im eigentlichen Sinne zu wissen, ins Wanken. Und in der Beratung müsste es dann um andere Dinge gehen als um Wissen, um einen Expertenstatus oder eine Autorität als Beratender zu rechtfertigen, oder? 

JS: Wir haben es irgendwann einmal so aufgenommen, dass ich Experte des Nichtwissens bin. 

Robert Caspar Müller: Es ginge in diesem Sinne vielleicht um eine gewisse Expertise im Finden und Erhellen von blinden Flecken, die Organisationen, durch ihre mangelnde Fähigkeit, sich selbst zu beobachten, haben. Und das lässt sich im Rahmen von Kommunikation, in diesem Falle Auftragskommunikation, gut leisten. 

"Wir haben es irgendwann einmal so aufgenommen, dass ich Experte des Nichtwissens bin." Jürgen Schulz

CS: Wie beobachten Sie sich dabei selbst? 

RCM: Sagen wir so: Wir sollten uns bewusst sein, dass wir immer auch mit Menschenbildern operieren. Dabei ist das Menschenbild immer geprägt von der wissenschaftlichen Disziplin, in der man unterwegs ist. Und gerade im Bereich der Kommunikation greift man seit jeher auf Erkenntnisse der Psychologie zurück, die mit bestimmten Menschenbildern verbunden sind. Dies führt dann eben auch zu entsprechender Kommunikation. Unsere Idee ist darum, dem Betreffenden erst einmal zuzuhören. 

CS: Sollten wir dann nicht mit offeneren und flexibleren Menschenbilder arbeiten, um mit Kommunikation noch mehr Türen zu öffnen? 

AGS: In etwa so hat Freud die Deutung des Menschen als Erzählung zur therapeutischen Methode ausgearbeitet. Er geht dabei davon aus, dass ein jedes Leben auch eben ein Unerhörtes ist und dass dieses durch das Erzählen zugänglich ist. Im Kern ging es dabei um diesen radikalen Ansatz, dass er gesagt hat: „Die Menschen sind keine Fälle, sondern Fallgeschichten.“ Man muss sehen, wie viel Potenzial da drinnen ist, wenn man diesen radikalen Ansatz von Freud beibehält und sagt: Es ist eben diese unerhörte Geschichte, die das Potenzial bietet, das zu verändern, was zu verändern ist. 

CS: An die Stelle von Endgültigkeiten träten dann Potenziale … 

JS: Was in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht, ist der Begriff Sinn. Und Sinn bedeutet dann eben nicht eine endgültige Gewissheit, sondern das laufende Aktualisieren von Möglichkeiten. 

CS: Welche Rolle spielt hierbei Ihre Nähe als Beratende zur Universität der Künste Berlin? 

JS: Kunst kommt für uns nicht als illustrative, trivial ästhetische Vorstellung von schönen Bildchen oder Gestaltung ins Spiel, wie man das vielleicht früher gedacht hat. Eine der wichtigsten Sachen ist, dass die Kunst, unseres Erachtens, eine Disziplin ist, die weitere Möglichkeiten, weitere Optionen schafft. Also insofern uneindeutig ist. Daher kann man sich durch den Kunst- und Kulturbetrieb in jedem Fall einmal ein bisschen belehren lassen, was es alles gibt, was nicht alternativlos ist. Sondern Alternativen braucht oder bietet – auf konzeptuellen, praktischen und eben auch ästhetischen Ebenen.